„Bibel“
In 2. Nephi 29:3-10 prophezeit Nephi (angeblich um 550 v. Chr. schreibend): „...viele Nichtjuden werden sagen: Eine Bibel! Eine Bibel! Wir haben eine Bibel...“
Das Wort „Bibel“ wird hier in dem Sinne benutzt, den sie in Joseph Smiths Tagen hatte: Eine Sammlung von heiligen Schriftstücken in einem geschlossenen Kanon.
Das Wort „Bibel“ findet man natürlich nicht in der Bibel selbst. Als die ursprünglichen Bibelschreiber sich auf heilige Schriften beziehen wollten, benutzten die hebräischen Schreiber des Alten Testaments das hebräische Wort 'k-th-b' „Schrift(en)“, was alle Arten von Schriften einschloss, weltliche und heilige. Die Schreiber des Neuen Testaments, die in Griechisch schrieben, benutzten das Wort 'graphe', was einfach „[etwas] Geschriebenes“ oder gar „Gezeichnetes, Gemaltes“ bedeutet.
Unser englisches Wort „Bible“ ist eine Anglikanisierung des griechischen Wortes 'biblia', was „Bücher“ bedeutet und einfach der Plural des griechischen Wortes 'biblion' ist, was „Buch“ bedeutet. Dieses Wort erscheint (nur in der Singularform) ungefähr 20 mal im Neuen Testament und bezieht sich auf ein bestimmtes heiliges Buch. Aber es erscheint nie im Plural (außer einmal und dann bezieht es sich auf heidnische Schriften). Die Idee von einem christlichen Kanon (einer Liste von anerkannten Büchern, einer „Bibel“ im traditionellen Sinn) kam erst im 2. Jahrhundert n. Chr. auf. Der erste derartige „Kanon“ wurde von Marcion ungefähr 150 n. Chr. zusammengestellt (der jetzt von Christen als Ketzer betrachtet wird).
Die King-James-Version der Bibel verwendet das Wort „Schriften“ nur im Neuen Testament, wo es ziemlich üblich ist. („Scripture“ im Singular erscheint im Alten Testament der KJV in Daniel 10:21, und nur einmal.)
Zur Zeit, als Lehi angeblich Jerusalem verließ (600 v. Chr.) war die Idee von einem geschlossenen Kanon heiliger Schrift (einer „Bibel“) nicht entwickelt. So etwas gab es nicht. Wenn Sie die Geschichte der Entwicklung des jüdischen und christlichen Kanons studieren, werden Sie herausfinden, dass die Idee, bestimmte Bücher zu kanonisieren (d. h. sie mit dem Siegel der göttlichen Vollmacht abzustempeln) erst mit den alexandrinischen Juden aufkam, die mit Hebräisch nicht mehr geläufig waren, und sie wollten die hebräischen heiligen Schriften ins Griechische übersetzen (ca. 250 v. Chr.) und somit musste entschieden werden, welche Bücher übersetzt werden sollten. Das Ergebnis, erst nach mehreren Generationen fertig, war die griechische Septuaginta (das Alte Testament), der erste Versuch, einen Kanon, eine „Bibel“ zu schaffen. Der jüdische Kanon wurde bis zum ersten Jahrhundert n. Chr. nicht als vollständig angesehen.
Somit kommt die Frage über das Wort „Bibel“ in 2. Nephi auf: Welches hebräische (oder „reformiert ägyptische“) Wort erschien auf den goldenen Platten, um als „Bibel“ übersetzt zu werden? Das Buch Mormon verwendet das Wort Schriften ungefähr 38 mal. Es wird auf die Weise benutzt, wie die Schreiber des Neuen Testaments es benutzen. „Bibel“ ist ein Wort – und, was wichtiger ist – ein Konzept, das erst einige Jahrhunderte, nachdem es von Nephi geschrieben wurde, existierte.
Wenn das Buch Mormon echt und historisch akkurat wäre, würde man erwarten, dass Nephi gefragt hätte: „Entschuldige, Gott, was bedeutet 'Bibel', dies ist eine Idee, mit der ich nicht vertraut bin?“, als Gott Nephi sagte, dass die Heiden „Eine Bibel! Wir haben eine Bibel!“ schreien würden. Und Gott hätte Nephi eine Erklärung gegeben, so dass nephitische Leser wissen würden, was gemeint war: Etwas, das sich erst viele Jahrhunderte später entwickeln würde.
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